Gestern Abend habe ich meinen Kleinen ins Bett gebracht und mich danach mit einem Buch auf den Balkon gesetzt.
Ich habe in die Baumkronen geblickt – mein großes Glück ist, dass unser Balkon in einen wunderschönen Innenhof geht und mir das Gefühl gibt, als wäre ich mitten im Wald. Die Bäume wachsen ganz nah an unserer Hauswand, die Blätter sind zum Greifen nahe. Ich habe tief geatmet und einfach die Bäume angesehen, habe in den Himmel geschaut, habe den Vögeln bei ihrem abendlichen Konzert gelauscht. Und bin endlich zur Ruhe gekommen. So viel geschieht in unserer Welt, ich komme kaum dazu es für mich sinken zu lassen, zu verarbeiten, oder einfach hinzuspüren und Gefühle zuzulassen. Der Satz „ich kann nicht atmen“ hallt in meinem Herzen nach, und es weint um all das Leid, das auf dieser Welt herrscht. Ich sehe, wie eine Welle der Gewalt die Liebe unter sich begraben möchte, wie Schreie nach Gerechtigkeit ausgenutzt werden, um einfach einmal gewaltsam um sich zu schlagen. Und ich frage mich: wie kann ich all dem begegnen? Zuerst Covid, Ängste, Zweifel, dann die Nachrichten aus den USA, die ja eigentlich keine Neuigkeiten sind, denn wir alle wissen um den Rassismus, um die Diskriminierung, um die Gewalt. Zu den Ängsten und Sorgen der Menschen mischt sich unbändige Wut, ja sogar Hass. Doch wohin führen diese Ausbrüche an Gefühlsgewalten? Wohin führt es, wenn wir blind sind vor Wut, oder rot sehen? Und wohin damit? Mit der Wut, dem Gefühl der Ohnmacht? Ich kann es selbst nicht sagen, denn ich bin eine ganz tolle Unterdrückerin von Wut. Ich bin jemand, die die Wut unter den Teppich kehren und was Hübsches drauf stellen will. Was Harmonisches mit Herzchen. Doch auch das ist nicht der richtige Weg. Doch welcher Weg ist denn nun richtig? Ich habe eine Vermutung. Gefühle wollen anerkannt werden. Und sie können eine immense Schubkraft haben um Dinge zu verändern. Doch zuerst gehören sie transformiert, umgewandelt in etwas das nicht zerstören sondern erschaffen möchte. Also frage ich dich: was willst du erschaffen? Wie können dich Wut und Frust antreiben, dir das nötige Feuer verschaffen etwas verändern zu wollen? Ich wünsche mir, dass uns diese Gefühle – erst mal angenommen und anerkannt wie sie sind – die nötige Kraft und den Mut geben, einander die Hände zu reichen. Uns in die Augen zu sehen und dabei uns selbst im anderen zu erkennen. Zu sehen, dass es keinen anderen gibt. Das hat Ramana Maharshi so schön gesagt. Er wurde gefragt: „Wie sollen wir die Anderen behandeln?“
Und hat geantwortet: „Es gibt keine anderen.“
Und es ist wahr. Wir sind alle eins. Und wir müssen aufhören in blinder Wut um uns zu schlagen, weil wir gefangen sind im Netz unserer Emotionen. Lasst uns stattdessen spüren, dass wir eins sind, dass wir verbunden sind. Mensch, Tier, Natur. All das bist du. All das bin ich. Schenken wir der Welt Mitgefühl, Liebe und Achtsamkeit, schenken wir ihr Frieden, dann schenken wir all das uns selbst. Und damit sind wir bei Gandhi, der gesagt hat, dass Veränderung mit uns selbst beginnt. Reiche den Menschen in deinem Leben die Hand, sieh ihre Geschichte, spüre die Verbundenheit, schenke ein Lächeln. Lass die Wut zu Liebe werden, die Angst zu Mut, den Frust zu Vertrauen. Gewalt wird keine Konflikte lösen. Hat sie noch nie. Durch Auge um Auge wird die Welt erblinden hat auch Gandhi gesagt. Eine große Seele dieser Mann. Und in uns allen schlummert ein Gandhi. Der sehr oft sehr wütend war wie er seinem Enkel erzählte. Doch er hat seine Wut transformiert und aus ihr die Kraft gezogen etwas verändern zu wollen. Sich einzusetzen ohne Gewalt. Dafür mit Liebe. Das gelingt auch dir und mir. Denn Gandhi lebt in uns.